Gemmotherapie

Blog Gemmotherapie

Pflanzenknospen werden im Laufe des Sommers angelegt und sie überdauern den Winter, bis sie sich nach der Winterruhe im Frühjahr öffnen. Pflanzenhormone geben den Startschuss und damit beginnt der Primärstoffwechsel, die in der Knospe gespeicherten Baustoffe wie Stärke, Fette und Eiweiße, in Gang zu setzen. Gleichzeitig schicken die Wurzeln mineralreiche Säfte über Leitbahnen zu den Blatt-, Trag- oder Blütenknospen, die nun mit der Aktivität der Zellteilung zu beginnen. In den Knospen steckt besonders zellteilungsaktives Gewebe, das sogenannte Meristemgewebe. Dieses Gewebe hat die besondere Eigenschaft, seine Teilungsfähigkeit ein Leben lang beizubehalten. Diese „pflanzlichen Stammzellen“ können sich zu beliebigen Pflanzenteilen wie Blättern, Wurzeln oder Stängel weiterentwickeln. Gerade diese Fähigkeit soll Knospen ihre heilenden Eigenschaften verleihen.

Nun belegen historische Zeugnisse Knospenanwendungen bereits im alten Ägypten, sowie in alten chinesischen und ayurvedischen Medizinaltexten. In Essig eingelegte Kapern kennt man schon seit tausenden von Jahren. Kapern sind nichts anderes als eingelegte Blütenknospen des Kapernstrauchs (Capparis spinosa). Die Kaper wurde schon damals, so belegen es alte Schriften, als Gewürz und auch als Heilmittel geschätzt, entweder innerlich eingenommen oder in Form von Salben angewendet.

Aber was ist nun genau unter Gemmotherapie zu verstehen? Die Gemmotherapie (von lat. gemma = Knospe) ist eine noch relativ wenig untersuchte Form der Phytotherapie (= Pflanzenheilkunde). Hierbei wird zur Herstellung von Arzneimitteln teilungsfähiges Gewebe von Pflanzen, das in Knospen, jungen Sprossen und Trieben sowie in wachsenden Wurzelspitzen zu finden ist, als Ausgangsstoffe verwendet.

Diese Therapieform, wie wir sie heute kennen, geht auf den belgischen Arzt und Naturforscher Dr. Pol Henry (1918-1988) zurück. Dr. Henry untersuchte die Wirkung pflanzlicher Embryonalgewebes auf den Menschen intensiv. 1982 veröffentlichte Henry sein Hauptwerk Gemmothérapie thérapeutique par les extraits embryoannaires végétaux.

1965 wurde schließlich die Arzneimittelherstellung auf Basis gemmotherapeutischer Methoden in das Französische Arzneibuch aufgenommen, wodurch diese Therapieform in Frankreich offizielle Anerkennung erhielt. Daher ist die Gemmotherapie in frankophonen Ländern wie Frankreich, Belgien und der Schweiz bereits relativ weit verbreitet. 2011 wurde die Gemmotherapie auch in das Europäische Arzneibuch aufgenommen.

Das Europäische Arzneibuch. Ein Arzneibuch ist eine Sammlung anerkannter pharmazeutischer Regeln über die Qualität, Prüfung, Lagerung und Bezeichnung von Arzneimitteln - unabhängig davon, ob sie chemisch-synthetischer, pflanzlicher oder tierischer Natur sind - sowie über die bei ihrer Herstellung und Prüfung verwendeten Stoffe, Materialien und Methoden. Das Ziel von Arzneibüchern ist, die Gesundheit der Bevölkerung mit Hilfe anerkannter, gemeinsamer Regeln für die Qualität von Arzneimitteln und ihren Bestandteilen zu fördern. Das Europäische Arzneimittelbuch, die Pharmacopoea Europaea, hat in allen Ländern der Europäischen Union und der Schweiz Gesetzeskraft. Es erleichtert den freien Austausch von Arzneimitteln in Europa und sichert die Qualität der aus Europa exportierten Arzneimittel. Das Arzneibuch enthält fast 2.500 Monographien, also Beschreibungen von spezifischen Wirkstoffen und bestimmten Zubereitungen.

Die Herstellung der Gemmotherapeutika nach dem Arzneimittelbuch funktioniert so: Knospen (ca. 10-25% pflanzliches Material) werden in einer Lösung aus gleichen Teilen Alkohol und Glycerin ausgezogen und anschließend abgefiltert. Dieses Mazerat nennt man Macérat mère (Muttermazerat). Gängig ist ebenfalls der Verkauf von homöopathischen D1-Potenzen, den Macérat glycériné D1. Hierbei wird das Muttermazerat im Verhältnis 1:10 verdünnt, um das Gemmomazerat auf die homöopathische Potenz D1 zu bringen.

Man kann ein Gemmomazerat auch ganz leicht selbst herstellen. Hier zeige ich euch wie ihr ein Gemmomazerat aus Schwarzen Johannisbeeren (Ribes nigrum) herstellen könnt.

IHR BENÖTIGT: 5g Knospen der Schwarzen Johannisbeere, 17g Weingeist (96%), 17g pflanzliches Glycerin (99,5%) und 17g Wasser.

Die Johannisbeerknospen werden im Frühjahr geerntet, wenn die Knospen zu sprießen beginnen. Anschließend werden sie mit einem sauberen Messer auf einem sauberen Schneidbrett möglichst klein geschnitten. Je kleiner das Auszugsmaterial verarbeitet ist, desto höher ist die Auszugsfläche und demnach können umso mehr Inhaltsstoffe in die Auszugsflüssigkeit übergehen. Das Knospenmaterial wird in ein Schraubglas gefüllt und mit dem Auszugsmittel (Alkohol, Glycerin und Wasser) übergossen. Das Glas wird beschriftet (Inhaltsstoffe, Herstellungsdatum) und dann lässt man die Knospen etwa 1 Monat lang an einem dunklen Ort bei täglichem Schwenken ausziehen. Nach 4 Wochen wird das Mazerat durch ein feines Sieb abgegossen und in einem beschrifteten Glas an einem dunklen, kühlen Ort gelagert. Bei sauberer Verarbeitung und richtiger Lagerung ist das Gemmomazerat ca. 3 Jahre haltbar.

Von diesem Muttermazerat kann man als Erwachsener bis zu 30 Tropfen pro Tag einnehmen, z.B. pur oder in einem Glas Wasser. Man kann das Mazerat auch in eine Sprühflasche füllen und 2- bis 3-mal täglich 1 bis 2 Sprühstöße direkt in den Mund verabreichen.

Ein Gemmomazerat aus Schwarzer Johannisbeere gilt als “natürliches Cortison”. Dem Knospenauszug werden unter anderem antioxidative, immunmodulierende, entzündungshemmende, antiallergische und schmerzlindernde Eigenschaften zugeschrieben. Auch wenn man eine breite Palette an Gemmomazeraten in Apotheken und Reformhäusern kaufen kann, muss ich dazu sagen, dass die wissenschaftlich fundierte Erkenntnislage in Bezug auf die Wirkungsweise der Gemmotherapie auf den menschlichen Organismus noch relativ dünn ist.

Ich selbst bin keine ausgebildete Ärztin oder Apothekerin, aber ich versuche, wenn es um gesundheitsfördernde Wirkungsweisen von Phytopharmaka geht, mich gut und wissenschaftlich fundiert zu informieren. Ich orientiere mich hier hauptsächlich an den Erkenntnissen der European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP), sowie dem Herbal Medicinal Product Committee (HMPC):

Im Jahr 1989 wurde die European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) gegründet, mit dem Ziel, harmonisierte Bewertungskriterien für Phytopharmaka in Europa zu schaffen. Die ESCOP-Monographien spiegeln den aktuellen Wissensstand über Wirksamkeit und Unbedenklichkeit einer Arzneipflanze bzw. deren Zubereitung wider. Sie enthalten zudem ein ausführliches Literaturverzeichnis mit allen verwendeten Quellen.

Das Herbal Medicinal Product Committee (HMPC) ist ein Ausschuss der EMA (European Medicines Agency | Europäische Arzneimittelagentur), welches über die Einordnung einer pflanzlichen Droge (= getrocknete Pflanzen bzw. Pflanzenteile, die zur Heilung von Krankheiten verwendet werden) in die Kategorien well-established use und traditional use entscheidet. Die Erkenntnisse werden ebenfalls in Form von Monographien publiziert, welche auf der Website der EMA einsehbar sind. HIER geht’s direkt zu den Monographien und HIER findest du beispielsweise Informationen zur Schwarzen Johannisbeere.

Sehr gut finde ich auch die Website Arzneipflanzenlexikon.info, welche u.a. auf seriöse Quellen, wie ESCOP oder HMPC, zurückgreift und eine sehr bedienerfreundliche Handhabe mitbringt. Dieses Lexikon wird von der Kooperation Phytopharmaka betrieben, die eine in Deutschland ansässige wissenschaftliche Gesellschaft ist, die sich für die Stärkung des Stellenwertes pflanzlicher Arzneimittel im Gesundheitssystem einsetzt. Das Arzneipflanzenlexikon ist eine Datenbank, die eine strukturierte Zusammenstellung der wichtigsten Arzneipflanzen bietet, die in pflanzlichen Arzneimitteln (Phytopharmaka) als Wirkstoffe enthalten sind oder volksmedizinisch genutzt werden. Die Datenbank enthält ca. 180 Pflanzenmonographien in denen sich u.a. Angaben zu den Pflanzen, den arzneilich verwendeten Pflanzenteilen, den Inhaltsstoffen und den Anwendungsgebieten befinden. Es gilt natürlich zu beachten, dass eine solche Zusammenschau bei physischen oder psychischen Beschwerden eine Beratung durch eine Ärzt:in oder eine Apotheker:in nicht ersetzen kann.

Wenn ihr euch noch weiter in die Gemmotherapie einlesen wollt, dann kann ich euch das Buch Gemmotherapie: Knospen in der Naturheilkunde von Chrishta Ganz und Louis Hutter empfehlen. Hier werden über 50 Knospen und ihre Anwendungsmöglichkeiten detailliert vorgestellt.

Lust auf noch mehr Pflanzenwissen bekommen? Dann freue ich mich, wenn wir uns bei einem meiner nächsten Spaziergänge oder Workshops sehen.


HINWEIS: Alle Hinweise auf Heilwirkungen und Gebrauch von Wildkräutern haben ausschließlich informativen Charakter und geben manchmal wissenschaftlich belegte, aber gelegentlich auch überlieferte (noch) nicht wissenschaftlich bestätigte Anwendungen gemäß traditioneller Volksheilkunde wieder. Ich übernehme keine Garantie und Haftung für genannte und gelernte Anwendungsmöglichkeiten. Ich empfehle hinsichtlich einer eigenen innerlichen oder äußerlichen Anwendung von Wildkräutern und anderen genannten Rohstoffen ausdrücklich die Rücksprache mit einer Ärztin oder einem Arzt oder einer Apothekerin oder einem Apotheker.

Teile diesen Beitrag: