Superfood: Samen

Blog Samen

Die Fußstapfen des weißen Mannes. Die trittfesten Wegerich-Pflanzen kamen einst mit den europäischen Siedlern nach Nordamerika und wurden von der heimischen indigenen Bevölkerung deshalb als Fußstapfen des weißen Mannes bezeichnet. Denn die schleimstoffhaltigen Samen haften bei Feuchte auf Fuß- und Schuhsohlen, aber auch auf Pfoten, Hufen und Reifen, und werden so weiterverbreitet. Überall dort wo der weiße Mann entlang ging, wuchsen plötzlich die bis dato unbekannten Pflanzen. Dazu, was passiert, wenn Pflanzen durch Menschen in ein Gebiet eingebracht werden, in dem sie nicht heimisch sind und welche Konsequenzen das haben kann, also über invasive Neophyten, habe ich schon einen Blog-Beitrag geschrieben.


In diesem Beitrag hier soll es aber ganz konkret um Pflanzensamen gehen. Und nicht nur darum, welch tolle Tricks sie sich einfallen haben lassen, um sich möglichst weit und zahlreich zu verbreiten, sondern auch darum, welch wertvollen Nutzen sie für unsere Gesundheit haben können.

Aber beginnen wir einmal damit, was ein Same überhaupt ist. Salopp gesagt, sind Samen die Babies von Samenpflanzen. Ein Same entsteht durch die Befruchtung der weiblichen Eizelle der Pflanze mit dem männlichen Pollen. Aus der befruchteten Eizelle entwickelt sich dann weiter der Same, der meist aus einer Samenschale, dem Embryo im Inneren, und häufig noch einem Nährgewebe besteht. Der Same bietet dem Pflanzenembryo die Voraussetzungen, um unter günstigen Keimungs­bedingungen (Temperatur, Wasser, Licht, Sauerstoff, Bodenbeschaffenheit) zu einem Sämling und dann zu einer ausgewachsenen Pflanze heranzuwachsen. Man unterscheidet darüber hinaus Nacktsamer und Bedecktsamer. Ersterer ist von keiner Fruchtwand umschlossen (z.B. Samen von Nadelbäumen) und letztere schon (z.B. Hagebutte). Und auch Licht- und Dunkelkeimer werden unterschieden, je nachdem ob die Samen für die Keimung Licht oder Dunkelheit benötigen genauso wie Kalt- und Warmkeimer.

Man kann sagen, das Hauptbestreben von Pflanzen ist die Ausbringung des eigenen Samens und damit das Weiterbestehen des eigenen Genpools in dieser Welt. Bei der Art und Weise wie Pflanzen ihre Samen verbreiten, haben sich die unterschiedlichen Gewächse einiges einfallen lassen. Die Verbreitung durch den Menschen habe ich eingangs schon am Beispiel der schleimstoffhaltigen Wegerichsamen beschrieben. Pflanzen machen sich aber nicht nur uns Menschen, sondern auch Tiere zu nutze, wie z.B. die Klette, die sich mit ihren Widerhaken im Fell von vorbeistreifenden Tieren festsetzt. Aber auch Beerenfrüchte, wie z.B. die Vogelbeeren, locken Vögel an, die die köstlichen Beeren verspeisen und den Samen danach an anderer Stelle wiederausscheiden. Andere Pflanzen, wie das Veilchen z.B., machen sich Ameisen zunutze. Dazu bestücken sie ihre Samen mit einem wohlschmeckenden - zumindest für Ameisen - ölhaltigen Anhängsel, welches man Elaiosom nennt. Die Ameisen verschleppen das Elaiosom samt Samen. Darum findet man das Veilchen oder auch das Schöllkraut oft in Mauerritzen wachsend. Wer hat sie dort wohl hingeschleppt? Aber auch der Wind kann bei der Verbreitung helfen - wie beim Löwenzahn oder Ahorn - und auch manchmal fließendes Wasser. Und zuletzt haben sich Pflanzen auch noch kreative Selbstverbreitungsmechanismen überlegt, wie z.B. die Springkräuter mit ihrem Schleudermechanismus.

Eine äußerst spannende Strategie von manchen Bäumen, bei der Ausbringung ihrer Samen, sind die Mastjahre. Es gibt Bäume, die in manchen Jahren ganz viele Früchte ausbilden und in anderen Jahren wieder ganz wenige. Zu den sogenannten Mast-Baumarten gehören z.B. Buche, Eiche, Fichte, Tanne, Ahorn, Linde und Kastanie. In einem Mastjahr bilden diese Bäume massenhaft Samen aus, vielmehr als in den übrigen Jahren. Der Name Mastjahr stammt aus früheren Zeiten, als Menschen ihre Schweine in den Wäldern hielten und diese Schweine in Mastjahren durch ein reichlicheres Nahrungsangebot besser gemästet werden konnten, als in den übrigen Jahren. Die Bäume verfolgen mit den Mastjahren jedenfalls einen ausgeklügelten Plan. Die Früchte und Samen der Mast-Bäume sind nämlich eine beliebte Futterquelle vieler Waldtiere. In Jahren in denen wenige Früchte ausgebildet werden, werden die Samen oft restlos von Mäusen, Wild, Eichhörnchen und Vögeln vertilgt und die Bäume haben dadurch eine geringe Chance auf ein erfolgreiches Austreiben ihrer Samen. Dadurch aber, dass in den Nicht-Mastjahren nur relativ wenig Futter zur Verfügung steht, fällt die folgende Tierpopulation geringer aus. In einem anschließenden Mastjahr bilden die Bäume dann eine solche Fülle an Früchten aus, dass nicht alle Samen von den kleineren Tiervölkern aufgegessen werden können und so noch ausreichend übrig bleibt, um eine neue Baumgeneration entstehen zu lassen. Dieses Zusammenspiel zwischen Baum und Tier ist besonders gut bei Mäusen zu beobachten, denn Mastjahre sind auch Mäusejahre und umgekehrt. Spannend, oder?

Aber wieso genau sind Wildsamen nun so wertvolle Nahrungsmittel?

In Beantwortung dieser Frage muss man mal überlegen, was so ein oft winziges Samenkorn vollbringt. Im Inneren des energiereichen Samens beginnt - nach einer Samenruhezeit, die meist einen Winter lang dauert, aber auch mehrere Jahre lang sein kann - der Pflanzenembryo mit der Ausbildung einer Wurzel. Einmal verwurzelt an dem immerwährenden Standort durchdringt der Pflanzenspross die Erdschicht und streckt sich langsam dem Sonnenlicht entgegen. Nach den Keimblättern werden die ersten Laubblätter gebildet und erst jetzt kann die Pflanze mit Hilfe der Fotosynthese selbst Energie herstellen. Bis dahin gelangen all diese ersten Schritte mit der reinen Kraft aus dem Samen. Und genau das ist es, was auch die Samen für uns Menschen so wertvoll macht: sie sind wahre Kraftpakete, die mit einer geballten Ladung an Vitalstoffen aufwarten!

Viele Samen werden uns bereits seit längerem als Superfoods angepriesen. Man denke nur an Chia-Samen aus Mexiko oder die indischen Flohsamen. Zweifelsohne tolle Nahrungsmittel. Aber wir müssen gar nicht in Geschäfte pilgern, um importierte Superfoods teuer zu erstehen. Es reicht ein Spaziergang vor die Haustür! Denn viele unserer heimischen Pflanzen bringen nicht minder gesunde Samen hervor.

So sind Brennnesselsamen, genauso wie Samen der Luzerne, wichtige pflanzliche Eiweißspender. Zum Würzen kann man geschmacklich intensive Samen verwenden, wie von Wiesenkümmel, Giersch, Knoblauchsrauke oder von der Wilden Möhre. Aus den Samen von Luzerne (Alfalfa), Rotklee, Labkraut, Vogelmiere oder Sauerampfer lassen sich gesunde Sprossen oder Microgreens ziehen. Aus gerösteten Hagebuttensamen kann man Kaffeeersatz herstellen, aus Mohnsamen ein wertvolles Öl pressen und aus senfölhaltigen Bärlauchsamen lässt sich Senf herstellen. Energiereiche Haselnüsse, Walnüsse, Bucheckern, Eicheln und Esskastanien verzehrt man im Ganzen oder bereitet gesunden Mehlersatz daraus. Und die schleimstoffhaltigen Samen von Spitz-, Mittlerem- und Breit-Wegerich - jenen Samen, die die Fußstapfen des weißen Mannes hinterlassen, können hilfreich für unsere Darmgesundheit sein.

Ihr seht das riesige Potenzial, das in diesen und noch vielen anderen kleinen Kraftpaketen steckt!

Wenn ihr mehr zu den einzelnen Samen erfahren wollt, wie man sie erkennt und wann man sie wie sammelt, dann begleitet mich doch auf einem meiner Kräuterspaziergänge im Spätsommer oder Herbst. Auch Rezepte, wie ihr die Samen kulinarisch verarbeiten könnt, verrate ich euch bei meinen Spaziergängen und anderen Workshops .

Wenn ihr euch lieber von der Couch aus noch weiter in die Welt der Samen vertiefen wollt, dann kann ich euch das Buch Essbare Wildsamen von Anke Höller und Doris Grappendorf ans Herz legen. In diesem schönen Buch findet ihr sehr viele Informationen zu verschiedenen essbaren Wildsamen, mit vielen Rezepten obendrauf.


HINWEIS: Alle Hinweise auf Heilwirkungen und Gebrauch von Wildkräutern haben ausschließlich informativen Charakter und geben manchmal wissenschaftlich belegte, aber gelegentlich auch überlieferte (noch) nicht wissenschaftlich bestätigte Anwendungen gemäß traditioneller Volksheilkunde wieder. Ich übernehme keine Garantie und Haftung für genannte und gelernte Anwendungsmöglichkeiten. Ich empfehle hinsichtlich einer eigenen innerlichen oder äußerlichen Anwendung von Wildkräutern und anderen genannten Rohstoffen ausdrücklich die Rücksprache mit einer Ärztin oder einem Arzt oder einer Apothekerin oder einem Apotheker.

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